Wenn wir plötzlich unseres Sehsinnes (gewollt) beraubt werden, übernehmen die anderen vier Sinne automatisch, dies zu kompensieren. Im ersten Teil sprach ich über sich führen lassen, Erfahrungen einbringen und kreative Lösungsprozesse. Lesen Sie, wie sich mein Selbstversuch weiter gestaltete.
Ab und zu lehne ich mich zurück und lausche einfach den Geräuschen im Raum und – ich gebe es zu – auch den Gesprächen meiner Tischnachbarn. Zum Beispiel der Herr links von mir, der den ganzen Abend kommentiert, was er ertastet und uns an seinen Gedanken teilhaben lässt, wird von seiner Begleitung gefragt „Schatz, hast du deine Äuglein zu?“ Ich muss grinsen, über die „Äuglein“ und finde es ganz goldig. Dabei denke ich auch über die Frage nach. Ich hab´ die ganze Zeit die Augen auf. Es ist zwar stockfinster und meine Augen gewöhnen sich nicht an die Dunkelheit, weil nirgends auch nur ein klitzekleiner Schimmer durchkommt, aber trotzdem bin ich gar nicht auf die Idee gekommen, meine Augen zu schließen. Angeregt durch ihre Frage, tue ich es. Es ist genauso dunkel wie vorher. Auf. Zu. Auf. Zu. Nee, für mich kein Unterschied. Erst als ich eine Weile tatsächlich mit geschlossenen Augen da sitze, habe ich das Gefühl, mein Gehirn entspannt sich. Durch die geschlossenen Augen kommt in meinem Gehirn an „Du kannst jetzt nichts sehen, die Augen sind zu.“ Mit offenen Augen versucht mein Gehirn krampfhaft, doch irgendwo etwas zu erspähen, was in der Finsternis absolut unmöglich war. Aber es ist eben ständig damit beschäftigt – und abgelenkt! Trainer-Erkenntnis Nummer sechs: Loslassen und Konzentration auf´s Wesentliche!
Auch die Unterhaltung meiner Tischnachbarn auf der linken Seite ist für mich unterhaltsam. Sie redet fast ohne Punkt und Komma auf ihn ein, er gibt ab und zu einen Kommentar dazu ab. Durch die Art, wie er antwortet und agiert, also Anzahl der Worte (sehr spärlich) und der Ton (eher gelangweilt), glaube ich zu erkennen, dass er eigentlich eher in Ruhe essen will. Er findet das alles ziemlich „unspannend“, während sie versucht, sich durch das Gespräch von der Dunkelheit abzulenken. Es ist ihr nicht ganz geheuer, aber sie hält tapfer bis zum Schluss durch. So meine laienhafte Analyse. Trainer-Erkenntnis Nummer sieben: Jeder reagiert anders auf Unbekanntes.
Die meiste Zeit des Abends verbringen meine Tischnachbarn und ich damit, dass wir versuchen zu „erschmecken“ und „erriechen“, was wir essen und welcher Wein dazu serviert wird. Wir beschreiben alles wortreich, mutmaßen und versuchen, die vielen Fragen in unserem Kopf zu beantworten. Wie schmeckt das? Wonach duftet das? Wie sind die Speisen angerichtet? Wie viel ist eigentlich auf dem Teller? Ist das Kohlrabi oder sind das Karotten? Welche Gewürze wurden verwendet? Dabei sind wir nicht nur damit beschäftigt, herauszufinden was wir essen. Nein! Auch das Essen allgemein ist ein Ding für sich. Mit Messer und Gabel bewaffnet, stochere ich auf dem Teller herum und versuche, etwas auf die Gabel zu bekommen. Schneide mit dem Messer, weil ich glaube, etwas schneiden zu müssen oder spieße etwas auf die Gabel und führe sie zum Mund. Da kann es schon mal passieren, dass man sich eine ganze Scheibe von etwas in den Mund steckt, was sich als rote Beete herausstellt, beim nächsten Mal aber eine leere Gabel, was mir, ehrlich gesagt, an diesem Abend nicht nur einmal passiert ist. Das hätte bei Licht sicher für Gelächter gesorgt, aber hier sieht es ja niemand. Als ich das Gefühl habe „Jetzt bin ich satt“, frage ich mich, ob jetzt noch etwas auf meinem Teller ist. Oder liegt etwas daneben? Nein, sieht nicht so aus, denke ich, obwohl ich ja gar nichts sehen kann… Am Ende habe ich etwas sehr Leckeres gegessen und war wunderbar satt. Auch die Weine waren köstlich darauf abgestimmt. Aber was genau es war, wird sich sicher noch herausstellen.
In der kommenden Woche geht es im dritten Teil um Fragen, die wir uns sonst nicht zu fragen trauen und ein fulminantes Dessert.
Sie wollen das selbst erleben? Hier finden Sie weitere Termine für „Dinner in the Dark“ http://www.majer-weingut.de/pages/07_events_00.html
Sie wollen mehr über Astrid Weidner erfahren, dann klicken Sie hier: www.trimentor.de