Wenn die Leute nicht gerade mit dem Essen beschäftigt sind, gibt Astrid Weidner in ihrer besonnenen Art ein paar Anregungen für Gespräche. Zum Beispiel stellt sie die Frage „Was glauben Sie, wie groß der Raum ist, in dem wir hier sind?“ „30 Quadratmeter“, sagt eine Frauenstimme hinter mir. „Nein, viel größer“, kommt es von weiter hinten. Ich überlege.
Wir sind knapp 40 Personen hier im Raum. Es hallt nicht besonders. Ich fühle mich nicht beengt. Aber ehrlich gesagt, habe ich nicht im Entferntesten eine Ahnung, wie groß der Raum sein könnte. Astrid Weidner sagt, wir könnten es erspüren. Das stellt sich bei mir leider nicht ein. Vielleicht bin ich akustisch abgelenkt. Ich weiß es nicht. Na, ich werd´s ja sehen, wenn das Licht angeht, denke ich. Auch dürfen wir Fragen stellen und bekommen einen kleinen Einblick in ihr Leben. „Sie haben bestimmt nicht oft die Gelegenheit, eine Blinde auszufragen“, animiert sie uns. Sie spricht ganz offen darüber, dass zum Beispiel Bahn fahren in der Zeit ihres Studiums für sie total stressig war, sie das jetzt aber recht gerne tut, weil sie da immer sehr interessante Menschen kennenlernt. Anfangs kommen die Fragen nur zögernd. Ich denke, man könnte jetzt alles fragen, auch Dinge, die ich mich, wenn ich ihr sehend gegenüber stehen würde, nicht trauen würde zu fragen. Sie muss meine Gedanken gespürt haben, denn in diesem Moment ermutigt sie uns, ruhig auch ganz persönliche Dinge zu fragen. Ich fühle mich ertappt. Eine Frau fragt vorsichtig „Sie haben vorhin von Kindern erzählt. Wie schafft man es als blinde Mutter, gerade im Kleinkindalter, dass die Kinder sich nicht schlimm wehtun oder wie machen Sie das, wenn Sie mit ihnen auf den Spielplatz gegangen sind?“ Astrid Weidner plaudert munter drauf los und die Leute verlieren ihre Scheu und fragen, was sie schon immer mal fragen wollten.
Nach dem Dessert, was mit einem fulminanten Paukenschlag serviert wird, weil ein Tablett scheppernd zu Boden fällt und wir schlagartig alle aufgeschreckt sind, und Espresso kommt das Finale des Abends. Zunächst eine kurze Stille, die ich sehr genieße. Dann Musik. Das kenne ich. Johann Strauß. Ein Wiener Walzer. Ich sehe den Wiener Opernball vor meinem geistigen Auge. Tanzpaare in wallenden Kleidern und Smoking drehen sich und schweben durch die Wiener Staatsoper. Ich sitze mit geschlossenen Augen da und schaue aus einer Loge von oben zu. Dann die ersten Takte des zweiten Titels. Ich erkenne die Melodie von „My Way“ von Frank Sinatra, aber die Stimme, die da singt, singt deutsch. Hm. Fragezeichen im Kopf. Hört sich an wie Udo Jürgens. Nee, passt nicht ganz. Ich grüble, aber komme erst nicht drauf. Dann höre ich einfach auf den Text. Und es macht schon wieder klick in meinem Kopf. Trainer-Erkenntnis Nummer acht: Zuhören will gelernt sein. Hören Sie doch mal rein und versuchen Sie´s selbst. Einfach hier klicken und dann die Augen schließen und hören. Wer ist das? Irgendwie passend, nicht wahr?
Mit dem letzten Ton der Musik erwarte ich, dass das Licht angeht und wir uns mit „ooohh“ und „aaaahh“ gegenübersitzen und sehen. Aber Pustekuchen. Astrid Weidner führt uns grüppchenweise wieder in den Vorraum, der mit Kerzen erleuchtet ist. Meine „plappernde Tischnachbarin“ ist mutig und will alleine raus. Sie schafft es unfallfrei. Das Licht ist ganz schön hell und ich kneife die Augen zusammen. Ich war jetzt fast 3 Stunden in der Dunkelheit. Draußen erwartet uns Christiane Majer und lüftet das Rätsel der Speisen. Wir sehen auch die hübsch angerichteten Teller und erfahren, welcher Wein zu welchem Gang gereicht wurde. Jetzt höre ich „Ooohs“ und „Aaahs“. Oder auch „Ach, das war der Riesling?“ „Ja, das war der Rotwein. Das hab´ ich gleich geschmeckt.“ Und noch etwas höre ich. „Sind Sie Klaus?“ und „Waren Sie mein Tischnachbar?“ Im Hellen sehen wir jetzt die Menschen, die wir im Dunkeln kennengelernt haben. Aber ein paar kleine Geheimnisse werden bewahrt. Wir sehen den Raum nicht, in dem wir die letzten Stunden verbracht haben. Wir erfahren nicht, wie groß er ist oder auch wie die Tische gedeckt waren. Ich finde das beeindruckend und fahre fasziniert und irgendwie emotional ergriffen nach Hause.
Sie wollen das selbst erleben? Hier finden Sie weitere Termine für „Dinner in the Dark“ http://www.majer-weingut.de/pages/07_events_00.html
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